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Lokalanästhetika: Dosierung, Nebenwirkungen und Kontraindikationen
Chemische Einteilung
Lokalanästhetika vom Ester-Typ:
Procain, Tetracain, Benzocain, Chloroprocain.
Lokalanästhetika vom Amid-Typ:
Lidocain, Prilocain, Mepivacain, Bupivacain, Ropivacain.
Wirkmechanismus der Lokalanästhetika
Lokalanästhetika blockieren spannungsabhängige Natriumkanäle in der Plasmamembran, hemmen dadurch den Natriumeinstrom in die Zellen und verhindern die Depolarisation sowie die Fortleitung des Aktionspotenzials. Bei der Anwendung wird zwischen einer Infiltrationsanästhesie (Infiltration des Operationsgebiets) und einer Leitungsanästhesie (Infiltration der versorgenden Nerven) unterschieden.
Pharmakokinetik:
Amid-Lokalanästhetika werden überwiegend hepatisch über CYP-Enzyme metabolisiert, Ester-Lokalanästhetika rasch durch Pseudocholinesterase hydrolysiert. Die entstehenden Metabolite werden vor allem renal eliminiert, sodass Leber- und Nierenfunktion die Kinetik wesentlich beeinflussen.
Einfluss des Adrenalinzusatzes:
Adrenalin bewirkt eine lokale Vasokonstriktion und verlängert somit die Wirkdauer von Lokalanästhetika, während es gleichzeitig die systemische Resorption verringert. Es kann die maximal sicher applizierbare Dosis erhöhen und die Blutungsneigung am Injektionsort reduzieren. In den Arzneimittelzulassungen ist die Anwendung in Endstromgebieten (wie dem Penis oder den Fingern) aufgrund der Sorge vor Ischämie kontraindiziert.
Obwohl ältere Lehrmeinungen und viele Fachinformationen von der Anwendung adrenalinhaltiger Lokalanästhetika in Endstromgebieten abraten, zeigen aktuelle Studien und Übersichtsarbeiten, dass niedrig dosiertes Adrenalin (1:100 000–1:200 000) bei Patienten ohne Gefäßerkrankungen bei Fingerblockaden und bei Operationen am Penis (z. B. Hypospadie-Operation) sicher eingesetzt werden kann (Schnabl et al., 2014; Alizadeh et al., 2016). Ein solcher Einsatz erfolgt off-label und sollte sich an aktuellen Fachleitlinien und den jeweiligen hausinternen Standards orientieren.
Nebenwirkungen der Lokalanästhetika
Nebenwirkungen entstehen vor allem durch systemische Resorption oder das versehentliche Eindringen der Lokalanästhetika in die Blutbahn (LAST: local anesthetic systemic toxicity). Konzentrationsabhängig bewirken sie eine Vasodilatation (Wirkung auf die glatte Muskulatur der Gefäße), Störungen der ZNS-Funktion und Hemmung der Kontraktilität und Erregungsleitung am Herzmuskel. Risikofaktoren für systemische Nebenwirkungen sind insbesondere Überdosierung, akzidentelle intravasale Injektion, hohe Injektionsgeschwindigkeit, stark durchblutete Injektionsgebiete, geringes Körpergewicht und Organinsuffizienz (Leber, Herz, Niere).
Zentralnervöse Nebenwirkungen:
Am Anfang exzitatorische Symptome wie Schwindel, Übelkeit, Unruhe und Krampfanfälle. Exzitatorische Symptome sind ein Frühzeichen der systemischen Toxizität von Lokalanästhetika und eine weitere Gabe sollte unterbleiben. Mit steigender Konzentration des Lokalanästhetikums besteht die Gefahr von Koma mit Atemdepression.
Kardiovaskuläre Nebenwirkungen:
Bei hohen systemischen Konzentrationen entsteht eine Dämpfung der Erregungsleitung und -bildung mit der Gefahr einer Verlängerung der Überleitungszeit (QRS-Komplexverbreiterung), Bradykardie, AV-Block, Blutdruckabfall, ventrikulärer Tachykardie bis hin zu Kammerflimmern und Asystolie. Besonders Bupivacain ist im Vergleich zu anderen Lokalanästhetika ausgeprägt kardiotoxisch.
Allergie:
Allergische Reaktionen sind bei Lokalanästhetika vom Amid-Typ selten und können durch das Lokalanästhetikum selbst oder durch Zusatzstoffe ausgelöst werden. Das klinische Spektrum reicht von milden Reaktionen bis zur Anaphylaxie. Ester-Lokalanästhetika zeigen aufgrund der Metabolisierung zu para-Aminobenzoesäure (PABA) ein höheres Allergierisiko.
Therapie der Lokalanästhetika-Überdosierung:
Toxische Nebenwirkungen können als Sofort- oder Spätreaktion klinisch manifest werden. Versehentliche intravasale Injektionen führen innerhalb von 1–3 min zu Sofortreaktionen. Spätreaktionen entstehen durch die Resorption von Lokalanästhetika mit toxischen Blutkonzentrationen 5–45 min nach Injektion (je nach Gewebetyp). Das klinische Bild wird heute als Lokalanästhetika-induzierte systemische Toxizität (local anesthetic systemic toxicity, LAST) bezeichnet.
Basismaßnahmen:
Sofortiger Abbruch der Lokalanästhetika-Gabe, Sicherung der Atemwege, Gabe von Sauerstoff, Überwachung von EKG, Blutdruck und Sauerstoffsättigung sowie zügige Volumensubstitution mit kristalloiden Infusionslösungen (z. B. NaCl 0,9 % oder balancierte Elektrolytlösungen). Bei hämodynamischer Instabilität frühzeitig Reanimationsbereitschaft herstellen.
Maßnahmen bei ZNS-Nebenwirkungen:
Bei Unruhe und Angst Gabe von Midazolam oder Diazepam fraktioniert nach Wirkung und Beginn o.g. Basismaßnahmen. Bei zerebralen Krämpfen Erhöhung der Dosis und intensivmedizinische Weiterbetreuung.
Maßnahmen bei Schock:
Intubation und kontrollierte Beatmung bei drohender oder manifester respiratorischer Insuffizienz, Kreislauftherapie mit geeigneten Vasopressoren (z. B. Noradrenalin als fraktionierte i.v. Gaben, bei Erwachsenen 10–20 μg/Minute nach Wirkung), bei Bradykardie Gabe von Atropin (bei Erwachsenen 0,5 mg i. v.), Ausgleich einer Azidose sowie intensivmedizinische Weiterbetreuung. Zusätzlich sollte frühzeitig eine Behandlung mit 20%iger Lipidemulsion (Lipidrescue) eingeleitet werden (1,5 ml/kg Bolus gefolgt von kontinuierlicher Infusion 0,25 ml/kgKG pro Minute über 10 min).
Kontraindikationen der Lokalanästhetika
Keine Anwendung bei bekannter Allergie, schweren Erregungsleitungsstörungen des Herzens oder kardiogenem Schock.
Vorsicht bei Anwendung im entzündetem Gebiet: Lokalanästhetika wirken dort schlechter und werden schneller resorbiert. Dosisreduktion bei Patienten mit Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz, Leberinsuffizienz, konsumierenden Erkrankungen, Schwangerschaft, hohem Alter und stark durchbluteten Injektionsgebieten.
Dosierung der Lokalanästhetika
Zur Dosierung gängiger Lokalanästhetika siehe Tabelle Eigenschaften von Lokalanästhetika. Die in der Tabelle angegebenen Maximaldosen sind Richtwerte; die tatsächliche Dosierung muss immer nach Körpergewicht (mg/kg), Injektionsort, Begleiterkrankungen und ggf. der gleichzeitigen Gabe von Adrenalin angepasst werden.
Infiltrationsanästhesie:
Für kleinere operative Eingriffe bietet sich als Standard-Lokalanästhetikum Lidocain oder Mepivacain an. Beide haben einen schnellen Wirkungseintritt, in der Regel wird eine 1%ige Verdünnung verwendet. Bei einem erwachsenen Patienten ohne Risikofaktoren mit 70 kg Körpergewicht können bis etwa 3–5 mg/kg (entsprechend z.B. 20–30 ml Lidocain 1% ohne Adrenalin) sicher eingesetzt werden.
Bei größeren schmerzhaften Eingriffen bietet sich Ropivacain 0,2–0,5% an: es ist verträglicher, hohe Injektionsvolumina sind möglich und es wirkt länger. Die Maximaldosis von 3 mg/kg sollte nicht überschritten werden.
Leitungsanästhesie:
Insbesondere für Leitungsanästhesien zur Schmerztherapie (z.B. Interkostalblock, Samenstranginfiltration) sollte ein langwirksames Lokalanästhetikum wie Ropivacain verwendet werden. Je nach Injektionsvolumen wird eine 0,2 oder 0,5 %ige Konzentration verwendet, die Maximaldosis von 3 mg/kg sollte nicht überschritten werden.
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Literatur
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Prabhakar H, Rath S, Kalaivani M, Bhanderi N. Adrenaline with lidocaine for digital nerve blocks. Cochrane Database Syst Rev. 2015 Mar 19;2015(3):CD010645. doi: 10.1002/14651858.CD010645.pub2.
Schnabl SM, Ghoreschi FC, Scheu A, Kofler L, Häfner HM, Breuninger H. Use of local anesthetics with an epinephrine additive on fingers and penis - dogma and reality. J Dtsch Dermatol Ges. 2021 Feb;19(2):185-196. doi: 10.1111/ddg.14434. PMID: 33586877.
Sommerkamp, H. und O. Hakenberg (1993).
Lokalanästhesie in der Urologie.
Stuttgart, New York: Georg Thieme Verlag.
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