Dr. med. Dirk Manski

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Blutung: Folgen und Therapie des starken Blutverlustes

Grundlagen und Pathophysiologie des Blutverlustes und der Anämietoleranz

Blutungen führen zur Hypovolämie:

Der Blutverlust führt zur Senkung des venösen Rückstroms, Abnahme der Vorlast, Reduktion des Herzzeitvolumens und Abfall des Blutdrucks.

Blutungen führen zur Abnahme der Sauerstofftransportkapazität:

Die Sauerstofftransportkapazität (DO2) ist das Produkt aus Herzzeitvolumen und Sauerstoffgehalt des arteriellen Blutes. Der Abfall der Sauerstofftransportkapazität durch eine Blutung unter eine kritische Grenze führt zur Organhypoxie und Laktatazidose. Die DO2 des menschlichen Körpers ist jedoch luxuriös dimensioniert und liegt um den Faktor 3–4 über dem Sauerstoffverbrauch. Bei suffizientem Volumenersatz zur Sicherung des Herzzeitvolumens kann zusammen mit zahlreichen Kompensationsmechanismen [Tab. Kompensation einer Blutungsanämie] eine deutliche Reduktion der Hämoglobinkonzentration ohne Beeinträchtigung der Sauerstoffversorgung toleriert werden.


Kompensationsmechanismen zur Vermeidung einer Gewebehypoxie bei Anämie.
 Kompensationsmechanismen
Mikrozirkulation Steigerung der Sauerstoffaufnahme
Herzzeitvolumen Steigerung durch Erhöhung der Herzfrequenz und des Schlagvolumens
Makrozirkulation Regionale Umverteilung mit Bevorzugung wichtiger Organe (Herz und Gehirn)

Grenzen der Anämietoleranz:

Wenn bei fortschreitender Blutung mit entsprechender Hämodilution die Sauerstofftransportkapazität auf das Niveau des Sauerstoffbedarfs des Organismus absinkt, sind die Reserven aufgebraucht und man spricht von kritischem DO2, kritischem Hämatokrit oder kritischer Hämoglobinkonzentration. Ein weiteres Absinken der Sauerstofftransportkapazität hätte eine Gewebehypoxie mit einsetzender anaeroben Glykolyse und Entwicklung einer Laktatazidose zur Folge.

Die kritische Hämoglobinkonzentration variiert inter- und intraindividuell erheblich. Bei gesunden wachen Probanden liegt sie unter 5 g/dl. Patienten, die Fremdbluttransfusionen ablehnen, haben teilweise Hb-Konzentrationen unter 2 g/dl überlebt (Habler u.a., 2007).

Die kritische Hb-Konzentration kann für einzelne Organe deutlich höher als 5 g/dl liegen, insbesondere im Rahmen von Krankheiten (KHK, Polytrauma, Sepsis) oder Hypotonie. Klinische Zeichen einer Organhypoxie [Tab. organspezifische Anämiezeichen] bei Blutungen machen eine Transfusion von Erythrozyten zwingend notwendig.


Organspezifische Zeichen der kritischen Sauerstofftransportkapazität (DO2) im Verlauf einer Blutung.
Zeichen der kritischen DO2
Gesamtorganismus Anstieg des Serumlaktats, Abfall der gemischtvenösen O2-Sättigung
Herz Veränderung der ST-Strecke, Herzwandbewegung (TEE), Anstieg CK und Troponin, Hypotonie
Gehirn Verschlechterung der Hirnfunktion (Gedächtnis u.a.)
Nieren Anurie, Anstieg der Retentionsparameter

Blutungen führen zum Verlust von Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten:

Der Blutverlust und der Ausgleich des Volumenverlustes führen zu einer Hämodilution mit entsprechender Verdünnung der Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten. Die Gerinnungssituation kann zusätzlich durch eine Hyperfibrinolyse, Hypothermie und Azidose, die im Verlauf einer schweren Blutung auftreten können, verschlechtert werden.

Therapie von starken Blutungen

Chirurgische Therapie der starken Blutung:

Die chirurgische Therapie ist das Mittel der Wahl, um akute Blutungen zu stillen, siehe entsprechende Kapitel zu Organen und Operationstechniken.

Volumentherapie bei starken Blutungen:

Bei akutem Blutverlusten wird zunächst der Volumenverlust durch Infusion von kristalloiden Infusionslösungen (3–4faches Volumen des geschätzten Blutverlustes) und kolloidalen Infusionslösungen (gleiches Volumen des geschätzten Blutverlustes) ausgeglichen. Die suffiziente Normovolämie ermöglicht es dem Organismus, o.g. Kompensationsmechanismen zu nutzen und eine Transfusion zu vermeiden. Bei der Volumentherapie ist eine Erwärmung der Infusionslösungen notwendig, um eine Hypothermie zu vermeiden.

Bluttransfusionen:

Zur Indikation von Bluttransfusionen siehe Tab. Transfusionstrigger, zur Durchführung einer Bluttransfusion siehe nächstes Kapitel Bluttransfusionen.


Transfusionstrigger (Minimalwerte) in verschiedenen klinischen Situationen, modifiziert nach Madjdpour u.a., 2005. Siehe auch Tab. organspezifische Anämiezeichen für Anzeichen kritischer Hb-Konzentrationen.
Kreislauf Physiologische Transfusionstrigger
Herzfrequenz Tachykardie >110-130/min
Mittlerer arterieller Blutdruck <55–60 mmHg, bei KHK oder Hypertonie <70–80 mmHg
Hb Nummerische Transfusionstrigger
<6 g/dl Alle Patienten, Schwangere, Kinder
<7 g/dl Alter >80 Jahre, Fieber, Hypermetabolismus, Sepsis, Polytrauma
<8 g/dl erhöhtes kardiales Risiko (KHK, Hypertonie, CVA)

Substitution von Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten:

Die Substitution von Gerinnungsfaktoren kann durch die Gabe von gefrorenem Frischplasma (GFP oder engl. FFP für fresh frozen plasma) oder durch Gerinnungsfaktorkonzentrate erfolgen. Thrombozyten können durch die Transfusion von Thrombozytenkonzentraten ersetzt werden. Die Substitution von Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten erfolgt möglichst nach Abschluss der chirurgischen Blutstillung und wird in Abhängigkeit der Blutungsneigung und den Laborbefunden (Blutbild, Quick, PTT, ROTEM) dosiert.








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Literatur

 

Habler, O.; Meier, J.; Pape, A.; Kertscho, H. & Zwissler, B. [Tolerance to perioperative anemia. Mechanisms, influencing factors and limits].
Urologe A, 2007, 46, W543-56.

 

Madjdpour, C.; Marcucci, C.; Tissot, J. & Spahn, D. R. [Perioperative blood transfusions. Value, risks, and guidelines].
Anaesthesist, 2005, 54, 67-80.

 

Tiede, A. [Perioperative hemostasis management].
Chirurg, 2007, 78, 69-79.