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Varikozele: Diagnose und Theapie der Hodenkrampfader
Definition und Klassifikation der Varikozele
Die Varikozele, auch Krampfaderbruch genannt, ist eine eine meist links vorhandene Dilatation und Vermehrung des Plexus pampiniformis am Samenstrang (Bong und Koo, 2004) (Miller u.a., 2002) (Rubenstein u.a., 2004). Leitlinie der EAU: (Tekgül u.a., 2017).
Sonographie des Samenstrangs mit Farbdoppler: Varikozele testis: im linken Bild zeigen sich ektatische Venen im Samenstrang. Im rechten Bild Darstellung des venösen Reflux in die Varikozele durch den Valsalva-Versuch.
Klassifikation der Varikozele:
Subklinisch:
Inspektorisch und palpatorisch kein Nachweis einer Varikozele; aber positive skrotale Thermographie oder dopplersonographischer Refluxnachweis.
Grad I:
Unter Valsalvamanöver tastbare aber nicht sichtbare Varikozele.
Grad II:
Unter Ruhebedingungen tastbare aber nicht sichtbare Varikozele.
Grad III:
Bereits unter Ruhebedingungen leicht tastbare und sichtbare Varikozele.
Epidemiologie
Die Varikozele ist häufig und bei rund 4–11% der erwachsenen Männer durch eine klinische Untersuchung nachweisbar. Ungefähr 90% der primären Varikozelen befinden sich auf der linken Seite, rechtsseitige Varikozelen sind in der Regel weniger stark ausgeprägt und meist nur mit Doppler-US erkennbar. Ein hoher BMI senkt die Wahrscheinlichkeit für eine Varikozele (Rais u.a., 2013). Die Prävalenz beträgt bis zu 30%, wenn mit Hilfe der Sonographie eine Varikozele gesucht wird (Chanc Walters u.a., 2012). Die klinische Prävalenz der Varikozele bei Männern mit pathologischem Spermiogramm liegt bei 25% (WHO, 1992). Siehe auch Abschnitt Therapie für den Zusammenhang zwischen Subfertilität und Varikozele (Marmar u.a., 2007).
Ätiologie der Varikozele – Ursachen der Hoden-Krampfader
Primäre Varikozele:
die nahezu rechtwinklige Einmündung der V. testicularis in die V. renalis auf der linken Seite kombiniert mit insuffizienten Venenklappen führt zu einer langen, hydrostatischen Drucksäule, gegen die die distale V. testicularis und der Plexus pampiniformis ankämpfen müssen und schließlich dekompensiert.
Man kann zwischen dem ,,Shunt-Typ`` und dem ,,Druck-Typ`` unterscheiden. Beim Druck-Typ hingegen füllt sich das Venengeflecht retrograd, es kommt jedoch nicht zu einem Abstrom über Kollateralen. Beim Shunt-Typ kommt es zu einem Abfließen über Kollateralen in das Abflussgebiet der V. iliaca interna und externa.
Nach Dubin und Amelar werden die Schweregrade 0 und 1 der Varikozele dem Druck-Typ zugeordnet und die Schweregrade 2 und 3 dem Shunt-Typ [Dubin 1970].
Sekundäre Varikozele:
durch eine retroperitoneale Raumforderung entsteht ein Abflußhindernis, welches zu einer Varikozele führt. Eine weitere Ursache einer sekundären Varikozele ist das Nussknacker-Syndrom: der Kompression der V. renalis sinistra zwischen A. mesenterica sup. und Aorta.
Pathophysiologie – Hodenschädigung
Reflux von (Nebennieren)-Blut:
führt zur Erhöhung der Noradrenalinkonzentration in der Varikozele und – durch Diffusion – in der A. testicularis. Dies führt zur einer reversiblen Vasokonstriktion im Hoden.
Erhöhte Hodentemperatur:
aufgrund des erhöhten venösen Shunting aus dem warmen Körperkern.
Erhöhter venöser Druck:
durch den erhöhten venösen Druck entsteht eine Abflussstörung des warmen Blutes und eine gestörte Hodendurchblutung.
Funktionsstörung des Hodens:
Eine gestörte Funktion des Keimepithels des Hodens ist die Folge aus Reflux von Nebennierenmetaboliten, erhöhter Hodentemperatur und erhöhtem venösen Druck. Dies führt zu einer mikroskopisch sichtbaren Beeinträchtigung der Sertoli-Zellfunktion, verminderter Inhibin-Sekretion und damit zu einem FSH-Anstieg. Die Minderdurchblutung des Hodens beeinträchtigt auch die Leydig-Zellfunktion, dies führt zu erhöhten LH-Konzentrationen. Oft ist die Testosteronkonzentration bei Varikozelenpatienten normal bis subnormal. Ist sie erniedrigt, führt die Operation häufig zu einer Normalisierung.
Pathologie der Varikozele
Makroskopie:
höhergradige Varikozelen führen zu einer Atrophie des Hodens.
Mikroskopie:
- Reduzierung der Spermatogenese, Stop der Spermienreifung. In Ausnahmefällen Sertoli-cell-only Syndrom.
- Tubuluswandverdickungen und Gefäßwandverdickungen
- Interstitielle Fibrose
- Leydig-Zelldysfunktion
Klinik der Varikozele
- in der Regel symptomlos, auffällig im Rahmen der Infertilitätsdiagnostik, als Zufallsbefund bei der Musterung oder klinischer Untersuchung.
- tastbare Raumforderung am Samenstrang (,,Hodentumor``), Zunahme im Stehen und beim Valsalva-Versuch.
- (Druck)-Schmerzen, vor allem im Stehen
- Hodenatrophie: normalerweiser differiert die Hodengröße nicht über 20 % oder 2 ml im Vergleich zur Gegenseite.
- Die primäre Varikozele befindet sich fast ausnahmslos auf der linken Seite. Die rechte (aber auch linke) Varikozele kann möglicherweise ein Spätsymptom eines retroperitonealen Tumors sein.
Diagnostik der Varikozele
Hoden: Hodengröße (Differenz >20 % oder 2 ml)? Hodentumor? Venenkonvolut [Abb. Sonographie Samenstrang und Sonographie Hoden]? Bei Erwachsenen sind Venendurchmesser über 3,5 mm pathologisch.
Sonographie Nieren: Tumor?
Farbdopplersonographie: Reflux beim Valsalva-Versuch [Abb. Sonographie Samenstrang und Sonographie Hoden]?
Sonographie Hoden mit Power-Doppler: intratestikuläre Varikozele testis in einem atrophen Hoden. Im linken Bild zeigen sich intratestikuläre ektatische Venen, rechts Darstellung des venösen Reflux durch den Valsalva-Versuch.
Spermiogramm:
Ein pathologisches Spermiogramm (Oligozoospermie, Asthenozoospermie, Teratozoospermie) kann durch eine Varikozele verursacht sein. Das Ausmaß der Störung ist abhängig vom Schweregrad der Varikozele, so haben bis zu 55% der Männer mit Grad III Varikozele eine pathologisches Spermiogramm (Damsgaard u.a., 2016).
Hormonbestimmungen:
erhöhtes FSH und erniedrigtes Testosteron sind typisch für eine testikuläre Dysfunktion bei einer Varikozele.
Skrotale Thermographie:
experimentelle Untersuchung. Sie ist nicht notwendig, da ungenau und wenig spezifisch.
Therapie der Varikozele
OP-Indikationen:
- große Varikozelen bei Heranwachsenden, insbesondere mit pathologischem Spermiogramm
- Kindliche Varikozelen mit Hodenatrophie
- Varikozelen mit erhöhten FSH-Werten oder niedrigen Testosteronkonzentrationen
- Bei Schmerzsymptomatik
- Bilaterale Varikozelen
- Bei unerfüllten Kinderwunsch mit pathologischem Spermiogramm und Varikozele: die Varikozelenoperation bessert mehrere Parameter des Spermiogramms. Die Erhöhung der spontanen Schwangerschaftsrate durch die Varikozelektomie ist umstritten (Baazeem u.a., 2011). In der Metaanalyse von Marmar u.a. (2007) bei Patienten mit unerfülltem Kinderwunsch und pathologischem Spermiogramm konnte die Varikozelektomie die Schwangerschaftsrate 2,7fach steigern.
Keine OP-Indikationen:
- symptomlose Varikozele mit normalem Spermiogramm oder Azoospermie
- Kindliche Varikozele mit normalem Hodenvolumen: Kontrolle des Hodenvolumens in 6monatigem Abstand bis zum ersten Spermiogramm als Alternative zur operativen Behandlung. Ein abwartendes Verhalten ist berechtigt, da kontrollierte prospektive Studien fehlen und die Varikozele sich in bis zu 70 % zurückbildet.
Suprainguinale Operationsverfahren:
bei der Bernardi-Operation wird eine Ligatur der Vasa testiculares retroperitoneal zwischen Spina iliaca ant. sup. und Nierenvene durchgeführt. Die Palomo-Operation durchtrennt die Vasa testiculares etwas tiefer in Höhe der Spina iliaca superior. Die venenselektive Durchtrennung (arterien- und lymphgefäßschonende Technik) senkt die Rate an Hydrozelen, die Rezidivrate ist jedoch erhöht. Die Operationstechniken sind auch laparoskopisch oder retroperitoneoskopisch durchführbar. Im Vergleich zur offenen OP-Technik existieren keine drastischen klinischen Vorteile für die laparoskopische Technik. Siehe Abschnitt Varikozelenoperationen für Details und Abbildungen der Operationstechnik.
Inguinale Operationsverfahren:
bei der Operation nach Ivanissevich erfolgt eine inguinale Samenstrangfreilegung und Ligatur sämtlicher Venen in Höhe des inneren Leistenrings. Die Operation sollte mit Hilfe eines Operationsmikroskops durchgeführt werden, geschont werden die A. testicularis, Lymphgefäße und Venen entlang des Vas deferens.
Retrograde Varikozelensklerosierung:
angiographische Embolisation/Sklerosierung der V. spermatica interna retrograd über einen transfemoralen Zugang.
Antegrade Varikozelensklerosierung (nach Tauber):
nach skrotaler Samenstrangfreilegung wird eine Varikozelenvene freigelegt und ein Sklerosierungsmittel injiziert.
Komplikationen der operativen Therapie:
Hydrozele:
bis 7 % bei retroperitonealer Massenligatur. Bei Sklerosierung oder selektiver Unterbindung 1 %.
Rezidiv der Varikozele:
1–2 % bei retroperitonealer Massenligatur. Selektive retroperitoneale Ligatur und Embolisation um 7–11 %.
Hodenatrophie:
bis Hodeninfarzierung (<1 %). Die Gefahr besteht insbesondere bei der antegraden Sklerosierung durch eine arterielle Fehlpunktion oder bei Extravasation von Sklerosierungsmittel.
Sachregistersuche: A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
Literatur Varikozele
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- Rais, A.; Zarka, S.; Derazne, E.; Tzur, D.;
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- WHO
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fertility in a large group of men presenting to infertility clinics. World
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English Version: Varicocele: pathophysiology of testicular dysfunction and infertility
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