Dr. med. Dirk Manski

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Leistenhernien und Narbenhernien

Definition von Hernien

Die Hernie (griech. ernos „Knospe, Spross“) ist eine Ausstülpung des Peritoneums durch eine angeborene oder erworbene Bruchlücke. Die Bezeichnung einer Hernie richtet sich nach der Lokalisation der Bruchpforte. Bei jeder Hernie unterscheidet man Bruchsack (meist aus Peritoneum), Bruchhals (im Bereich der Bruchlücke) und Fundus (beinhaltet die prolabierten Organteile). Eine äußere Hernie ist die Hernierung durch die Bauchwand in Richtung Haut (Leistenhernie, Nabelhernie, Schenkelhernie). Bei inneren Hernien bleibt der Bruchsack in der Bauchhöhle oder gelangt in den Thorax (Schumpelick u.a., 2015).



Leistenhernie:

Je nach Lokalisation der Bruchpforte wird zwischen einer medialen (=direkten) Leistenhernie und einer lateralen (=indirekten) Leistenhernie unterschieden.

Laterale Leistenhernie:

Die Bruchpforte liegt oberhalb des Leistenbandes und lateral der Vasa epigastrica, der Bruchsack folgt dem Verlauf des Leistenkanals und zieht somit "indirekt" zum äußeren Leistenring. Die laterale Leistenhernie ist typischerweise angeboren und kann mit einem offen Proc. vaginalis einhergehen. Es gibt aber auch erworbene laterale Leistenhernien im Erwachsenenalter.

Mediale Leistenhernie:

Die Bruchpforte liegt oberhalb des Leistenbandes und medial der Vasa epigastrica, der Bruchsack gelangt auf "direktem" Weg zum äußeren Leistenring. Die mediale Leistenhernie ist immer erworben.

Skrotalhernie:

Der Bruchsack einer Leistenhernie reicht bis in das Skrotum. Die Skrotalhernie kann teilweise monströse Ausmaße annehmen [Abb. Befund einer großen Skrotalhernie], im Bruchsack können auch urologische Organe wie Harnblase [Abb. Skrotalhernie mit Harnblasenbeteiligung] oder Harnleiter [Abb. Skrotalhernia mit Harnleiterbeteiligung] enthalten sein.



Skrotalhernie mit Harnblase im Bruchsack, dargestellt durch ein Zystogramm in gedrehter Projektion (rechte Seite angehoben). Mit freundlicher Genehmigung, Prof. Dr. R. Harzmann, Augsburg.
Abbildung Skrotalhernie mit Harnblase im Bruchsack
Abbildung Skrotalhernie mit Harnleiter im Bruchsack
Skrotalhernie mit Harnleiter im Bruchsack, dargestellt durch eine antegrade Pyelographie. Mit freundlicher Genehmigung, Prof. Dr. R. Harzmann, Augsburg.

Schenkelhernie:

Die Bruchpforte liegt bei der Schenkelhernie unterhalb des Leistenbandes, der Bruchsack zieht medial durch die Lacuna vasorum in den Oberschenkel. Die Schenkelhernie ist schwierig zu erkennen und besitzt eine hohe Inkarzerationsgefahr.

Spieghel-Hernie:

Die Bruchpforte liegt bei der Spieghel-Hernie zwischen der Linea semilunaris und der lateralen Rektusscheide meist in Höhe der Linea arcuata.

Hernia lumbalis:

Die Hernia lumbalis entsteht entweder im oberen Lendendreieck zwischen der 12. Rippe und dem M. sacrospinalis oder im unteren Lendendreieck oberhalb der Crista iliaca.

Hernia obturatoria:

Der Bruchsack der Hernia obturatoria zieht gemeinsam mit den Vasa obturatoria unter dem Schambeinast durch das Foramen obturatorium in den Oberschenkel. Die Hernia obturatoria ist schwierig zu erkennen und besitzt eine hohe Inkarzerationsgefahr.

Hernia ischiadica:

Der Bruch tritt durch das Foramen ischiadicum majus oberhalb oder unterhalb des M. piriformis aus. Der Ureter kann Teil des Fundus und die Ursache einer Harnstauungsniere sein.

Hernia perinealis:

Perineal- oder Beckenbodenhernien treten durch den Beckenboden und bilden einen Bruchsack in den Schamlippen oder in der Fossa ischiorectalis aus.

Zwerchfellhernie:

Innere Hernie mit Ausbildung eines Bruchsacks im Thorax.

Weitere innere Hernien:

Peritoneale Taschen oder Duplikaturen beherbergen Darmschlingen oder Netz mit Gefahr der Inkarzeration und Ileus. Typische Lokalisationen sind die Bursa omentalis, Flexura duodenojejunalis und entlang des Kolons.

Narbenhernien:

Die Bruchpforte der Narbenhernie ist eine Operationsnarbe.

Epidemiologie

Hernien sind sehr häufig und betreffen 2–4% der europäischen Bevölkerung. Die häufigste Hernie ist mit 75% die Leistenhernie.



Ätiologie

Anatomische Schwachstellen:

Siehe Definitionen (s.o.) zur Beschreibung der anatomischen Situation.

Erworbene Schwachstellen:

Operationsnarben im Bereich der Bauchwand. Risikofaktoren für Narbenhernien sind Eiweißmangel, Adipositas, Peritonitis, Wundheilungsstörungen, Schnittführung und Re-Operationen.

Erhöhung des intraabdominellen Drucks:

COPD, Schwangerschaft, Aszites, Obstipation oder Miktionsbeschwerden erhöht des Risiko für die Hernienentstehung.

Klinik

Diagnostik

Körperliche Untersuchung:

Vorwölbung, tastbare Resistenz, Druckschmerz. Der Bruchinhalt stellt sich als wenig transparente Raumforderung in der Diaphanoskopie dar (im Gegensatz zu Hydrozele). Ein vorsichter Versuch der Bruchreposition ist notwendig, um die Dringlichkeit der Therapie festzulegen.

Sonographie:

Die Sonographie des Skrotums und des Leistenkanals ist Mittel der Wahl für die Differentialdiagnose [Abb. Sonographie einer Skrotalhernie].


Sonographie des Skrotums bei einer Skrotalhernie. Mit freundlicher Genehmigung, Dr. M. Fretschner, Augsburg.
Abbildung Sonographie des Skrotums bei einer Skrotalhernie

CT:

Die Schnittbildgebung mittels Computertomographie ist indiziert zur Differentialdiagnose von unklaren Fällen, bei Ileus und bei Verdacht auf innere Hernien.

Therapie der Leistenhernie

Die Leistenhernie sollte immer operativ therapiert werden, falls es der Gesundheitszustand des Pat. erlaubt. Inkarzerierte Hernien sind dringlich zu operieren, bei Ileus oder Darmischämiezeichen muss eine Notfalloperation durchgeführt werden.

Offen-chirurgische Leistenherniotomie:

Hautschnitt 2 cm kranial und entlang des Leistenbandes. Eröffung des Leistenkanals durch Spaltung der Externusaponeurose. Freipräparation des Bruchsacks vom Samenstrang. Eröffnung des Bruchsacks und Reposition des Inhalts in die Bauchhöhle. Der Bruchsack wird mit Hilfe einer Tabaksbeutelnaht abgesetzt. Dann weiter mit u.g. Techniken nach Shouldice (v.a. für junge Patienten) oder Lichtenstein.

Technik nach Shouldice:

Spaltung der Aponeurose und der darunter liegenden Faszie des M. transversalis über die gesamte Länge oberhalb des Leistenbandes, das Peritoneum wird stumpf abgeschoben und so die Faszie mobilisiert. Die Bruchlücke wird durch eine Doppelung der Fascia transversalis verschlossen (Naht in zwei Schichten mit nichtresorbierbaren Faden 3-0). Eine zweite Naht zwischen M. obliquus abd. int. und Leistenband sorgt für eine zweite Schicht des Bruchlückenverschlusses. Fortlaufende Naht der Externusaponeurose. Subkutannaht. Hautnaht.



Technik nach Lichtenstein:

Ein Polypropylen-Netz von 8×16 cm wird für die Wundhöhle angepasst und über die gesamte Länge am Leistenband fortlaufend fixiert (nichtresorbierbarer Faden 3-0). Fixierung nach medial an die Rektusscheide und nach kranial am M. obliquus int. Von lateral wird das Netz eingeschnitten und beide Netzschenkel um den inneren Leistenring gelegt, auf einen weiten Durchtritt für den Samenstrang muss geachtet werden. Der Samenstrang liegt nun auf dem Netz und unter der Externusaponeurose (nach fortlaufendem Verschluss). Subkutannaht. Hautnaht.

Laparoskopische Leistenherniotomie:

Die laparoskopische Leistenherniotomie kann transperitoneal (TAPP) oder extraperitoneal (TEP) durchgeführt werden. Bei beiden Verfahren wird ein Netz über die Region der Bruchlücken gelegt.

Therapie der Narbenhernie

Narbenhernienoperation mit alloplastischem Material (Sublay-Technik):

Früher praktizierte Nahtverfahren ohne die Einlage eines Polypropylen-Netz (z.B. Fasziendopplung nach Mayo) haben eine hohe Rezidivrate bis zu 50%, so dass die Einlage eines Netzes als Standard angesehen werden muss. Nach Exzision der Hautnarbe wird über die gesamte Länge der Fasziendefekt freigelegt und inzidiert. Der Fasziendefekt wird nun zirkulär vom Peritoneum über 5–7 cm abpräpariert. Ein entsprechend großes Polypropylen-Netz wird der tiefen Wunde angepasst, so dass spannungsfrei ein Überstand von 5–7 cm zum Fasziendefekt möglich ist. Das Polypropylen-Netz wird mit Einzelknopfnähten fixiert. Wichtig ist nun ein suffizienter Faszienverschluss mit einer fortlaufenden nichtresorbierbaren Naht. Falls Wunddrainagen notwendig sind, werden diese zwischen Netz und Faszie positioniert. Die Rezidivrate wird mit 2–6% angegeben (Conze u.a., 2005).








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Literatur

Conze, J.; Klinge, U. & Schumpelick, V. Narbenhernien [Incisional hernia].
Chirurg 2005, 76, 897-909.

Schumpelick, V.; Arlt, G.; Conze, K. J. & Junge, K. (ed.) Hernien
Thieme Verlag, 2015