Dr. med. Dirk Manski

 Sie sind hier: Startseite > Hoden > Kryptorchismus

Hodenhochstand (Kryptorchismus 1/2): Ursachen und Häufigkeit


Definition des Kryptorchismus

Kryptorchismus (Hodenhochstand) ist die fehlende skrotale Positionierung des Hodens, ausgelöst durch einen fehlenden oder irregulären Descensus testis. Leitlinien: EAU Guidelines Paediatric Urology, AUA cryptorchidism guideline.

Bauchhoden:

Der Bauchhoden wird auch ,,echter`` Kryptorchismus (griechisch: verborgener Hoden) genannt, der Hoden liegt proximal des inneren Leistenringes.

Leistenhoden:

der Leistenhoden ist palpabel zwischen innerem und äußerem Leistenring, er kann nicht nach kaudal luxiert werden.

Eine Unterform des Leistenhodens ist der Gleithoden, er hat die Lokalisation wie ein Leistenhoden und kann durch sanften Zug bis in den Skrotalansatz gebracht werden. Nach der Untersuchung schnellt der Gleithoden sofort wieder in die Leistenposition zurück. Im Gegensatz zum Pendelhoden, führt eine muskuläre Entspannung (durch ein warmes Bad) nicht zu einer Normalisierung der Hodenposition.

Ektope Hoden:

Ektope Hoden liegen abseits der physiologischen Deszensusstrecke (suprafasziell inguinal, perineal, femoral, peripubisch).

Pendelhoden:

Der Pendelhoden befindet sich zeitweise durch Kremasterkontraktion im Leistenkanal, bei Entspannung kehrt der Pendelhoden wieder in die physiologische Lage zurück. Der Pendelhoden ist physiologisch und sollte nicht als Kryptorchismus angesehen werden.

Epidemiologie des Hodenhochstandes

Prävalenz:

Die Prävalenz ist altersabhängig und stark gehäuft bei Frühgeburten.

Risikofaktoren für den Hodenhochstand:

Familiäre Häufung:

Die Konkordanzrate beträgt 7% bei Brüdern, 17% bei zweieiigen Zwillingen und 27% bei eineiigen Zwillingen.

Häufigkeit der Monorchie:

In 10–30% der echten (nicht palpablen) Kryptorchismusfällen besteht eine Monorchie (fehlender Hoden). Ursache für einen fehlenden Hoden ist z.B. die intrauterine Hodentorsion. Bei kongenital fehlenden Hoden entsteht eine kompensatorische Hypertrophie des kontralateralen Hodens, so spricht ein Hodenvolumen von über 2 ml für eine Monorchie bei Kindern mit nicht-palpablen Kryptorchismus (Hodhod u.a., 2016).

Ätiologie (Ursachen) des Kryptorchismus

Der komplizierte Mechanismus des Hodendeszensus (Hutson und Hasthorpe, 2005) ist anfällig für Störungen und verursachen einen Hodenhochstand:

Mechanismen des normalen Hodendeszensus:

Der Hodendeszensus wird hormonell vom Anti-Müller-Hormon, Insulin-like Hormone 3 und von Androgenen (DHT und Testosteron) beeinflusst. Das Gubernaculum testis verbindet den Hoden mit der Leistenregion und ist die zentrale Struktur für den abdominellen Teil des Hodendeszensus. Durch Einfluss o.g. Hormone entsteht eine Schwellung des Gubernaculums mit Weitung des inneren Leistenrings, der Hoden wandert durch das Längenwachstum des Embryos nach kaudal. Im weiteren Verlauf des Deszensus wandern Muskelzellen in das Gubernaculum ein. Die Regression des Gubernaculums und Muskelkontraktion (Innervation durch N. genitofemoralis) lösen den inguinalen Teil des Hodendeszensus aus.

Androgenmangel:

ein absoluter (erniedrigte Konzentration) oder relativer (verminderte Sensitivität des Zielgewebes) kindlicher Androgenmangel verursacht einen Hodenhochstand. Viele Enzymdefekte sind dafür bekannt, wie z. B. 5α-Reduktase-Mangel, Defekte des Androgenrezeptors u. v. m. Die Hormontherapie des Kryptorchismus mit HCG oder GnRH (s.u.) führt zu einer Erhöhung der Androgene und ggf. zum spontanen Deszensus.

Genetische Syndrome:

zahlreiche genetische Syndrome sind mit Kryptorchismus assoziiert: z. B. Noonan-Syndrom, WAGR-Syndrom, Kallmann-Syndrom, Prune-belly-Syndrom, Harnblasen- oder Kloakenekstrophie, Omphalozele oder Gastroschisis. Genlokalisationen für vererbbaren nicht-syndromalen Kryptorchismus sind größtenteils unbekannt und die genetische Ätiologie ist multifaktoriell.

Östrogene:

Die pränatale Behandlung mit DES (Diethylstilbestrol) führt zum Hodenhochstand.

Verminderter abdomineller Druck:

Bei Prune-belly-Syndrom, Kloakenekstrophie, Omphalozele oder Gastroschisis ist Kryptorchismus häufig.

Pathophysiologie des Kryptorchismus

Infertilität:

Kryptorchismus ist ein Risikofaktor für Infertilität. 87 % der unbehandelten Männer mit unilateralem Kryptorchismus haben Kinder, aber nur 33 % bei bilateralem Kryptorchismus.

Gestörte Keimzellentwicklung:

Kryptorchismus resultiert in einer Hodenschädigung mit gestörter Keimzellentwicklung: Persistenz der fetalen Gonozyten und die fehlende Entwicklung der "adult dark Spermatogonien". Eine frühe Orchidopexie kann die histopathologischen Veränderungen verhindern.

Fehlbildungen des Nebenhodens:

ein offener Processus vaginalis ist ein starker Risikofaktor für Nebenhodenanomalien. Je höher der Hodenhochstand, desto wahrscheinlicher sind die Nebenhodenfehlbildungen: z. B. Nebenhodenelongation bis zu komplexeren Fusionsstörungen, komplette Trennung Hoden-Nebenhoden bis zu fehlenden Nebenhodenstrukturen. Wahrscheinlich entstehen die Nebenhodenfehlbildungen durch die gleichen Mechanismen wie der Kryptorchismus. Nebenhodenanomalien sind von entscheidender Bedeutung für eine Infertilität nach ,,erfolgreicher`` chirurgischer Therapie.

Hodentumoren:

die Ursache der Risikoerhöhung für Hodentumoren (10–20faches Risiko ohne Orchidopexie) ist unklar. Wahrscheinlich ist eine testikuläre Dysgenesie, da auch der kontralaterale orthotope Hoden ein gering erhöhtes Malignitätsrisiko aufweist. Je höher die Hodenlokalisation und je später die Korrekturoperation, desto höher das Malignitätsrisiko. Die Tumoren entstehen in der Regel nach der Pubertät.

Orchidopexie und Hodentumorrisiko:

die Orchidopexie verringert die Inzidenz, und ermöglicht die klinischen Kontrollen zur frühen Detektion des Hodentumors. Die Hodenbiopsie zum Zeitpunkt der Orchidopexie kann das Tumorrisiko nicht einschätzen.

Pathologie des Hodenhochstandes

Typische histologische Zeichen der Hodenschädigung durch einen unbehandelten Hodenhochstandes:






 Sachregistersuche: A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z


Literatur

Hutson und Hasthorpe 2005 HUTSON, J. M. ; HASTHORPE, S.: Testicular descent and cryptorchidism: the state of the art in 2004.
In: J Pediatr Surg
40 (2005), Nr. 2, S. 297–302

T. F. Kolon, A. Herndon, L. A. Baker, L. S. Baskin, and C. G. Baxter, “AUA Guideline: Evaluation and Treatment of Cryptorchidism,” 2018. [Online]. Available: https://www.auanet.org/guidelines-and-quality/guidelines/cryptorchidism-guideline.

Kolon u.a. 2004 KOLON, T. F. ; PATEL, R. P. ; HUFF, D. S.: Cryptorchidism: diagnosis, treatment, and long-term prognosis.
In: Urol Clin North Am
31 (2004), Nr. 3, S. 469–80, viii-ix

C. Radmayr, G. Bogaert, H. S. Dogan, and Tekg&uuml, “EAU Guidelines: Paediatric Urology,” 2022. [Online]. Available: https://uroweb.org/guidelines/paediatric-urology/.

M. Ritzen, A. Bergh, R. Bjerknes, P. Christiansen, D. Cortes, S. E. Haugen, N. Jörgensen, C. Kollin, S. Lindahl, G. Läckgren, K. M. Main, A. Nordenskjöld, E. R.-D. Meyts, O. Söder, S. Taskinen, A. Thorsson, J. Thorup, J. Toppari, und H. Virtanen. Nordic consensus on treatment of undescended testes.
Acta Paediatr, 96 (5): 638–643, May 2007.

W. Rodprasert, J. Toppari, and H. E. Virtanen, “Endocrine Disrupting Chemicals and Reproductive Health in Boys and Men.,” Front Endocrinol., vol. 12, p. 706532, 2021.

A. V. Thorsson, P. Christiansen, und M. Ritzen. Efficacy and safety of hormonal treatment of cryptorchidism: current state of the art.
Acta Paediatr, 96 (5): 628–630, May 2007.

  English Version: Cryptorchidism: undescended testis