Dr. med. Dirk Manski

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Vesikoureteraler Reflux: Ursachen und Folgen


Definition des vesicoureteralen Refluxes

Der vesikoureterale Reflux (VUR) ist eine häufige angeborene oder erworbene Störung des vesikoureteralen Übergangs mit Reflux von Urin in den oberen Harntrakt, welche zu rezidivierenden Infektionen, narbiger Pyelonephritis, arterieller Hypertonus und chronischer Niereninsuffizienz führen kann. Synonym: refluxive Uropathie, vesikorenaler Reflux. (Dewan, 1999) (Körner und Steffens, 2010), Leitlinie der EAU: EAU Guidelines Paediatric Urology.

Epidemiologie des vesicoureteralen Refluxes

Die Prävalenz bei asymptomatischen Kindern beträgt etwa 1%. Bei Kindern mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen oder Dysfunktion des unteren Harntrakts ist die Prävalenz deutlich höher (bis zu 70% bei Kindern unter 1 Jahr, 15% bei Kindern 12 Jahre alt). m:w = 1:4. Vesikoureteraler Reflux tritt familiär gehäuft auf: Geschwister und Kinder von betroffenen Patienten haben ein erhöhtes Risiko (bis 30% bei Zwillingen).

Ätiologie des vesikoureteralen Refluxes

Zur Anatomie des Trigonum vesicae und der Uretermündungen siehe Abschnitt Anatomie/Harnblase.

Primärer Reflux:

Multifaktorielle embryonale Fehlentwicklung mit Störung folgender Entwicklungsschritte: verfrühter Zeitpunkt der Ureterknospung und Verschmelzung des Wolffschen Gang mit dem Sinus urogenitalis, Überrotation der Ureterknospe und somit lateralisierte Ostien, gehemmte Entwicklung der Muskulatur von Ureter und Trigonum.

Doppelter Ureter:

prädisponiert den Ureter des kaudalen Nierenpols zu Reflux, da der intravesikale Abschnitt durch eine oft gleichzeitig bestehende Ureterozele des kranialen Ureters gestört ist.

Funktionsstörung des unteren Harntraktes:

hohe Miktionsdrücke (dysfunktionelle Miktion, Harnröhrenklappen, neurogene Miktionsstörungen wie z.B. Spina bifida) sind ein starker Risikofaktor für hochgradigen vesikoureteralen Reflux mit Schädigung der Nieren.

Dekompensation des ureterovesikalen Sphinkters:

grenzwertig funktionierende ureterovesikale Übergänge können dekompensieren und Reflux mit aszendierender Infektion verursachen: z. B. bei Akute Zystitis mit Wandödem oder während der Schwangerschaft.

Prune-Belly-Syndrom:

seltenes Syndrom mit Störung der Entwicklung von Bauchwandmuskulatur und der glatten Muskulatur von Ureteren und Harnblase. Es entsteht ein massiver vesikoureteraler Reflux. Siehe Kapitel Erkrankungen mit urologischer Manifestation/Prune-belly-Syndrom.

Iatrogen:

durch die Durchtrennung von trigonumnaher Harnblasenmuskulatur entsteht Reflux. Folgende Eingriffe können Reflux verursachen: Prostatektomie, TURB in der Nähe der Ostien und Resektion einer Ureterozele.

Klassifikation des vesikoureteralen Refluxes

Schweregrad des VUR:

Frühere Einteilungen differenzierten zwischen Niederdruck- und Hochdruckreflux (Reflux in der Füllungsphase und bei der Miktion). Die aktuelle Klassifikation laut Int. Reflux Study Group differenziert die Untersuchungsergebnisse im MCU in Grad I–V (Wingen u.a., 1999):

Abbildung Klassifikation des vesikoureteralen Refluxes anhand der Untersuchungsergebnisse im MCU
Klassifikation des vesikoureteralen Refluxes anhand der Untersuchungsergebnisse im MCU (Wingen u.a., 1999):
  • Grad I: Reflux in den Ureter, nicht bis in das Nierenbecken.
  • Grad II: Reflux bis in das Nierenbecken ohne Dilatation.
  • Grad III: Reflux bis in das Nierenbecken mit leichter Dilatation des Hohlsystems, nur geringe Verplumpung der Kelche.
  • Grad IV: Reflux mit Dilatation des Hohlsystems, leichtes Ureterkinking, Fornices verplumpt mit noch sichtbaren Papillen.
  • Grad V: Reflux mit starker Dilatation des Hohlsystems, Ureterkinking und verplumpten Fornices, Papillen größtenteils nicht mehr sichtbar.

Pathophysiologie des vesikoureteralen Refluxes

Insuffizienter ureterovesikaler Verschlussmechanismus:

entsteht durch die verminderte Länge des intramuralen Ureters und durch ein muskelarmes Trigonum. Diese Störung bedingt ein fehlendes Widerlager für den Ureter bei der Harnblasenfüllung (passiver Refluxschutz) und kann einen aktiven Refluxschutz durch Muskelkontraktion nicht ausbilden.

Spontanheilung:

Durch das Wachstum des Ureters und die Zunahme der Harnblasenkapazität bessert sich der Schweregrad des VUR ohne Therapie. Die Spontanheilung ist bei geringgradigem Reflux und medial gelegenen Ostien häufig.

Rezidivierende Harnwegsinfekte:

der VUR führt zu einem Pendelurin, welcher sich infiziert. Durch den intrarenalen Reflux entstehen Pyelonephritiden, die vor allem in der Kindheit narbig verlaufen.
Die Papillenanatomie bedingt einen intrarenalen Reflux vor allem an den Polen. Der senkrechte Mündungswinkel der Sammelrohre bei flachen oder konkaven Papillen ist ein Risikofaktor, diese sind häufiger an den Polen lokalisiert. Bei konvexen Papillen münden die Sammelrohre flach und es entsteht seltener ein intrarenaler Reflux.

Refluxnephropathie:

Die Narbenbildung führt zu einem renalen arteriellen Hypertonus, Proteinurie, fokale segmentale glomeruläre SKlerose und Wachstumsverzögerung der Kinder (siehe Chronische Pyelonephritis). Bei schweren Verläufen droht eine terminale Niereninsuffizienz mit der Notwendigkeit zur Dialyse. Die Refluxnephropathie verursacht etwa 10--20\,\% der chronischen Niereninsuffizienz bei Kindern.






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Literatur Vesikoureteraler Reflux

Dewan 1999 DEWAN, P. A.: Vesicoureteric reflux: the evolution of the understanding of the anatomy and the development of radiology.
In: Eur Urol
36 (1999), Nr. 6, S. 559–64

Körner, I. & Steffens, J. [Treatment of vesicoureteral reflux in childhood].
Urologe A, 2010, 49, 1248-1253

Leitlinie der EAU: Paediatric Urology

Olbing u.a. 2003 OLBING, H. ; SMELLIE, J. M. ; JODAL, U. ; LAX, H.: New renal scars in children with severe VUR: a 10–year study of randomized treatment.
In: Pediatr Nephrol
18 (2003), Nr. 11, S. 1128–31

Smellie u.a. 2001 SMELLIE, J. M. ; JODAL, U. ; LAX, H. ; MOBIUS, T. T. ; HIRCHE, H. ; OLBING, H.: Outcome at 10 years of severe vesicoureteric reflux managed medically: Report of the International Reflux Study in Children.
In: J Pediatr
139 (2001), Nr. 5, S. 656–63

Wingen u.a. 1999 WINGEN, A. M. ; KOSKIMIES, O. ; OLBING, H. ; SEPPANEN, J. ; TAMMINEN-MOBIUS, T.: Growth and weight gain in children with vesicoureteral reflux receiving medical versus surgical treatment: 10–year results of a prospective, randomized study. International Reflux Study in Children (European Branch).
In: Acta Paediatr
88 (1999), Nr. 1, S. 56–61




  English Version: Diagnosis and treatment of vesicoureteral reflux