Dr. med. Dirk Manski

 Sie sind hier: Startseite > Hoden > Operationen > Retroperitoneale Lymphadenektomie

Retroperitoneale Lymphadenektomie (RLA) bei Hodentumoren

Indikation zur retroperitonealen Lymphadenektomie

Nichtseminom Stadium I:

Die nervenschonende modifizierte RLA ist eine Therapiealternative zur prophylaktischen Chemotherapie oder einer Watch-and-Wait-Strategie.

Markernegatives Nichtseminom Stadium IIA:

Nervenschonende RLA bei markernegativem Nichtseminom Stadium IIA. Alternative: Wiederholung der Bildgebung und erneute Tumormarkerkontrollen nach sechs Wochen. Die RLA ist bei Persistenz oder Progress der Lymphknoten ohne Tumormarkererhöhung indiziert.

Markernegative Resttumoren nach Chemotherapie:

Resttumoren von über 1–2 cm Größe (Nichtseminom) und von über 3 cm Größe (Seminom) sollten mittels radikaler RLA entfernt werden, das Dissektionsfeld richtet sich nach dem Ausmaß der Metastasen vor Chemotherapie.

Kontraindikationen der retroperitonealen Lymphadenektomie

Gerinnungsstörung. Präoperativ sollte eine komplette Resektion der Tumormanifestation möglich erscheinen. Keine Metastasen in anderer Lokalisation.

Technik der retroperitonealen Lymphadenektomie

Patientenvorbereitung:

zur Verbesserung der intraabdominellen Übersicht sollte am präoperativen Tag die Ernährung auf klare Flüssigkeiten (Wasser, Säfte, Brühe) beschränkt werden. Zusätzlich Einlauf am Abend vor der Operation.
Perioperative Antibiotikaprophylaxe bei Risikofaktoren für Wundinfektionen. Perioperativer Dauerkatheter. Perioperative Magensonde. Periduralanästhesie wenn möglich und gewünscht.

Transperitonealer Zugang:

mediane Laparotomie von Xiphoid bis Mitte Unterbauch mit Linksumschneidung des Nabels. Durchtrennung des Lig. teres hepatis und Lösung der Leber vom Zwerchfell. Inzision der laterokolischen Rinne, weiterhin Inzision des Peritoneums entlang des Dünndarm-Meso bis zum Treitz-Band. Das Colon ascendens und das komplette Mesentericum des Dünndarms werden vom Retroperitoneum gelöst und nach kranial verlagert. Präparation des Duodenums und ggf. Pankreas, bis die Nierenvenen als kraniale Grenzen des Dissektionsgebiets sichtbar werden. Feuchte Bauchtücher schützen das Darmpaket, welches auf dem Thorax gelagert und regelmäßig auf Durchblutung inspiziert wird (Ischämie z. B. durch Hakenzug gegen die Vasa mesentericae superiores).

Thorako-abdomineller Zugang:

Der thorako-abdominelle Zugang ist nur bei pathologischen retrokruralen Lymphknoten indiziert.

Dissektionsgrenzen der nervenschonenden retroperitonealen Lymphadenektomie:

Zur Reduktion der Häufigkeit der retrograden Ejakulation wurden in Abhängigkeit der Wahrscheinlichkeit für Lymphknotenmetastasen ein (modifiziertes) Dissektionsgebiet für rechts- und linksseitige Hodentumoren entwickelt. Neben der Einhaltung der Dissektionsgrenzen ist die Identifikation der Grenzstrangganglien und Schonung der austretenden sympathischen Nervenfasern durch das Dissektionsfeld notwendig. Unterschiedlich ist das Vorgehen bezüglich einer intraoperativen Schnellschnittuntersuchung. Vor allem in offen-chirurgischen Zentren und in wenigen laparoskopischen Zentren werden die Lymphknoten zum Schnellschnitt gesendet, bei nachgewiesener Metastasierung werden im kontralateralen Dissektionsfeld ebenfalls die Lymphknoten entfernt (bilaterale nervenschonende Lymphadenektomie). In vielen laparoskopischen Zentren wird kein intraoperativer Schnellschnitt durchgeführt, bei positiven Lymphknoten wird eine adjuvante Chemotherapie empfohlen.

Rechtsseitiger Hodentumor:

rechte laterale Grenze Vena testicularis und Ureter, nach kranial Nierengefäße, linke laterale Grenze komplette Aorta bis zum Abgang der A. mesenterica inferior, dann nur noch interaortokaval bis zu den Vasa iliacae. Die interaortokavalen Lymphknoten sollten entfernt werden [Abb. 1.0.1].


Dissektionsgrenzen der modifizierten rechtsseitigen und linksseitigen retroperitonealen Lymphadenektomie. A. phrenica inferior (1), Truncus coeliacus (2), A. mesenterica sup. (3), A. renalis (ohne Beschriftung), A. + V. testicularis/ovarica (4), A. mesenterica inf. (5), A. sacralis mediana (6), A. iliaca communis (7). Abb. modifiziert aus Gray’s Anatomy, Lea and Febinger 1918, Philadelphia, USA.
Dissektionsgrenzen der modifizierten rechtsseitigen und linksseitigen retroperitonealen Lymphadenektomie

Linksseitiger Hodentumor:

linke laterale Grenze Vena testicularis und Ureter, nach kranial Nierengefäße, rechte mediale Grenze komplette Aorta ohne interaortale Lymphknoten [Abb. Dissektionsgrenzen der modifizierten rechtsseitigen und linksseitigen retroperitonealen Lymphadenektomie].

Dissektionsgrenzen der radikalen retroperitonealen Lymphadenektomie:

Die bilaterale radikale retroperitoneale Lymphadenektomie ist indiziert bei fortgeschrittenem Keimzelltumor mit initial bilateralen Metastasen und Resttumormassen nach Chemotherapie. Um alle Lymphknoten entlang der großen Gefäße zu entfernen, wird die Split-and-Roll Technik verwendet. Zunächst wird das Lymphgewebe auf der Aorta und auf der V. cava inferior in gesamter Länge gespalten (Split). Dann werden die großen Gefäße zur Seite gerollt und die Lumbalarterien und Lumbalvenen in der Nähe der großen Gefäße zwischen Ligaturen oder Clips durchtrennt (Roll). Aorta und V. cava inferior werden komplett vom auf der Wirbelsäule aufsitzenden Lymphgewebe getrennt. Mit Hilfe von Gefäßzügeln werden die Gefäße angehoben und das Lymphgewebe entfernt, dabei müssen die Lumbalarterien und Lumbalvenen wirbelsäulennah nochmals durchtrennt werden. Nach Möglichkeit werden die Grenzstrangganglien und austretenden sympathischen Nervenfasern identifiziert und geschont.

Wundverschluss:

Sorgfältige Blutstillung. Robinson-Drainage. Reposition der Darmschlingen. Siehe mediane Laparotomie für den Wundverschluss.

Nachsorge der retroperitonealer Lymphadenektomie

Allgemeine Maßnahmen:

Frühe Mobilisation. Atemtherapie. Thromboseprophylaxe, Heparinjektion in den Oberarm. Laborkontrollen (Hb, Kreatinin). Wundkontrollen. Wunddrainageentfernung, wenn keine chylöse Sekretion nach Kostaufbau. Tumornachsorge.

Analgesie:

idealerweise über einen Epiduralkatheter. Zusätzlich Schmerztherapie mit einer Kombination aus Nichtopioid-Analgetika und Opioid.

Kostaufbau:

Entfernung der Magensonde nach der Operation. Schluckweise Tee und klare Brühe am ersten postoperativen Tag, dann Kostaufbau.

Komplikationen der retroperitonealer Lymphadenektomie

Deutlicher Anstieg des Risikos für Komplikationen bei einer RLA nach Chemotherapie (Baniel et al., 1995) im Vergleich zur primären RLA (Baniel et al., 1994).

Retrograde Ejakulation nach retroperitonealer Lymphadenektomie:

Neben der Einhaltung der Dissektionsgrenzen ist die Identifikation und Schonung der Grenzstrangganglien und sympathischen Nervenfasern notwendig. Die Ergebnisse sind für die primäre nervenschonende RLA günstiger (unter 5 % retrograde Ejakulation) als bei der radikalen RLA nach Chemotherapie.

Nachbarorganverletzung:

paralytischer Ileus, Darmverletzung, Peritonitis, Pankreasschwanzverletzung mit Ausbildung einer Pankreasfistel. Chylusfistel durch Verletzung der Darmlymphgefäße. Leberrisse, Milzverletzung (Splenektomie).

Allgemeine Komplikationen:

Blutung, Wundinfektion, Thrombose, Lungenembolie, Atelektasen, Pneumonie, akutes Nierenversagen.

Mortalität:

0,8 % bei RLA nach Chemotherapie.






 Sachregistersuche: A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z


Literatur retroperitoneale Lymphadenektomie

J. Baniel, R. S. Foster, R. G. Rowland, R. Bihrle, und J. P. Donohue. Complications of primary retroperitoneal lymph node dissection.
J Urol, 152 (2 Pt 1): 424–427, Aug 1994.

J. Baniel, R. S. Foster, R. G. Rowland, R. Bihrle, und J. P. Donohue. Complications of post-chemotherapy retroperitoneal lymph node dissection.
J Urol, 153 (3 Pt 2): 976–980, Mar 1995.

H. W. Herr, J. Sheinfeld, H. S. Puc, R. Heelan, D. F. Bajorin, P. Mencel, G. J. Bosl, und R. J. Motzer. Surgery for a post-chemotherapy residual mass in seminoma.
J Urol, 157 (3): 860–862, Mar 1997.