Dr. med. Dirk Manski

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Harnableitung nach Zystektomie: Technik und Komplikationen

Zusammenfassende Literatur: (Gerharz u.a., 2003) (Farnham und Cookson, 2004) (Hautmann, 2003) (Mills und Studer, 1999).

Definitionen der Harnableitung

Prinzipielle Techniken der Harnableitung:

Abbildung heterotope Harnableitung Mainz-Pouch I
heterotope Harnableitung: Mainz-Pouch I.

Orthotope kontinente Harnableitung:

Die Harnableitung ersetzt die Harnblase und wird mit einem intaktem Schließmuskel verbunden. Beispiele: Ileumneoblase nach Studer oder Hautmann.

Heterotope kontinente Harnableitung:

Das kontinente Reservoir (Pouch) wird mit Hilfe der Einmalkatheterisierung regelmäßig entleert. Beispiele: MAINZ-Pouch 1, kontinenter Ileumpouch.

Heterotope inkontinente Harnableitung:

Die Harnleiter werden direkt oder mit zwischengeschaltetem Darm zur Haut (Stoma) herausgeführt. Beispiele: Harnleiterhautfistel, Ileumkonduit, Kolonkonduit.

Grundlagen der kontinenten Harnableitungen

Reservoirvolumen:

Die Detubularisierung von Darmschlingen ist die Lösung für die Konstruktion von einem Reservoir mit großem Volumen ohne hohe Reservoirdrücke, ohne starke Resorption oder Reflux in die Nieren aufnehmen kann. Eine U-förmige Detubularisierung verdoppelt das Reservoirvolumen im Vergleich zum tubulären Darmsegment. Die W- oder S-förmige Detubularisierung kann das Volumen verdreifachen.

Resorption von Urinbestandteilen bei Harnableitungen:

Eine Grundfunktion von Dünn- und Dickdarm ist die Resorption von Wasser und Elektrolyten, dies ist bei Harnableitungen unerwünscht. Cl wird durch Ileummukosa im Austausch von HCO3 absorbiert, Na+ wird im Austausch mit H+ absorbiert. Da typischerweise mehr Cl als Na+ absorbiert wird, und somit mehr HCO3 als H+ sezerniert werden, entsteht eine hyperchlorämische metabolische Azidose. Die zusätzliche Resorption von Ammonium (NH4) durch die Darmmukosa verstärkt die Azidose. Reservoire aus Ileum haben geringe Vorteile gegenüber Reservoiren aus Kolon hinsichtlich der Speicherdrücke und der Resorption von Urinbestandteilen.

Bei nierengesunden Patienten werden diese Nachteile in der Regel nicht klinisch manifest und können durch die Nieren kompensiert werden. Eine verminderte GFR kann jedoch Probleme hinsichtlich der H+- und Elektrolytausscheidung verursachen. Die Therapie besteht in der oralen Alkalisierung mit Kalium- oder Natriumbikarbonat.

Kontraindikationen für kontinente Harnableitungen

Allgemeine Kontraindikationen für kontinente Harnableitungen:

Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Niereninsuffizienz (GFR <60–80 ml/min), schlechte Compliance, niedrige Lebenserwartung.

Spezielle Kontraindikationen für orthotope kontinente Harnableitungen:

zusätzlich defekter Sphinktermuskel, Karzinombefall der membranösen Harnröhre, Prostata oder Harnblasenhals.

Spezielle Kontraindikationen für heterotope kontinente Harnableitungen:

zusätzlich Unfähigkeit des Patienten, sich selbst zu katheterisieren.

Präoperative Vorbereitungen vor Harnableitungen

Siehe Kapitel Zystektomie.

Postoperative Nachsorge der Harnableitungen

Allgemeine Maßnahmen:

Frühzeitige Mobilisation. Atemtherapie. Thromboseprophylaxe. Laborkontrollen (Hb, Elektrolyte, Kreatinin). Wundkontrollen.

Kostaufbau nach Harnableitung:

Nach Laparotomie entsteht ein sogenannter "physiologischer" paralytischer Ileus. Die Dauer der postoperativen Atonie hängt von der klinischen Situation und dem Ausmass der Operation ab. Nach heutigen Erkenntnissen wird die Zeitspanne des physiologischen Ileus durch ein frühes orales Nahrungsangebot verkürzt, eine prophylaktische Magensonde ist nicht indiziert.

Erster pOP schluckweise klare Flüssigkeiten, ab dem zweiten pOP geringe Mengen an Tee, Suppe und Zwieback. Nach Überwindung des ,,physiologischen`` paralytischen Ileus wird die Kost weiter gesteigert. Kaugummi kauen beschleunigt die Erholungszeit. Ausführliche Darstellung siehe Kapitel Perioperative Ernährung.

Analgesie:

Die Vermeidung von Opiaten als Analgesie ist wichtig für eine schnelle Darmrekonvaleszenz. Voraussetzung dafür ist die Anlage einer periduralen Anästhesie und die Gabe von nichtsteroidalen Analgetika oder COX2-Hemmern.

Drainagen:

Wunddrainage minimal 1–2 Tage und Entfernung bei deutlich unter 100 ml/d Fördervolumen. Bei hoher Förderung Überprüfung der ausgeleiteten Ureterstents und Katheter auf Durchgängigkeit. Die Bestimmung der Kreatininkonzentration im Drainagesekret kann eine Urinleckage nachweisen.

Urinableitung bei kontinenter Harnableitung:

MJ-Harnableitung 10 Tage, Katheterableitung des Reservoirs bis zur radiologisch dokumentierten Dichtigkeit, mindestens aber 14 Tage. Kontinente Harnableitungen müssen regelmässig über den Katheter angespült werden, um den Schleim der Darmmukosa zu entfernen.

Säure-Basen-Haushalt:

Nach Beginn der Urinbelastung des Reservoirs sind regelmäßige Bestimmungen von Blut-pH und der Elektrolyte notwendig, ausreichend ist die venöse Bestimmung des Baseexcess. Der Baseexcess sollte nicht unter -2,5 mmol/l absinken.

Vitamine:

Bei Verwendung des distalen Ileums ist die regelmäßige lebenslange Substitution von Vit. B12 notwendig.

Komplikationen von kontinenten Harnableitungen

Säure-Basen-Haushalt:

Eine verminderte GFR kann durch die Resorption von Urinbestandteilen Probleme hinsichtlich der Protonen- und Elektrolytausscheidung verursachen. Die typische Störung bei der Verwendung von Ileum oder Kolon ist die Ausbildung einer hyperchlorämischen metabolischen Azidose (s. o.). Die Therapie besteht in der oralen Alkalisierung mit Kalium- oder Natriumbikarbonat. Der Baseexcess sollte nicht unter -2,5 mmol/l absinken.

Medikamententoxizität:

Medikamente, welche vom Gastrointestinaltrakt absorbiert werden und unverändert renal ausgeschieden werden, können bei kontinenten Harnableitungen wieder absorbiert werden und toxische Werte erreichen. Insbesondere bei einer adjuvanten Chemotherapie ist eine Drainierung des Harntrakts zur Vermeidung einer Toxizität notwendig.

Harnwegsinfektion:

Es besteht eine erhöhte Inzidenz von Bakteriurie, Pyelonephritis oder septischen Episoden. Die Ursache der erhöhten bakteriellen Kolonisation liegt an der verminderten Fähigkeit des Darmepithels im Vergleich zum Urothel, diese zu verhindern. Das Darmepithel baut ja auf die Symbiose mit Darmbakterien, welche nun im Urintrakt nicht erwünscht sind.

Schleimbildung:

Die Schleimbildung kann rezidivierend die Entleerung des Harnreservoirs behindern und Harnverhalte auslösen. Die Erhöhung der Trinkmenge ist hilfreich, im Gegensatz zur oralen Gabe von ACC.

Harnsteinbildung:

Die Schleimbildung und persistierende Harnwegsinfektionen prädisponieren zur Entstehung von Infektsteinen.

Malabsorption:

Der Verlust des terminalen Ileums oder ein Kurzdarmsyndrom können einen Vit. B12-Mangel und einen Gallensäurenverlust verursachen. Es entsteht eine makrozytäre Anämie, neurologische Symptome und Durchfall. Die Resektion der Ileozökalklappe begünstigt die bakterielle Besiedlung des Dünndarms, dies kann zu Durchfall, Osteomalazie und weiteren Vitaminmangelsymptomen führen.

Osteomalazie:

Als Ursache wird eine Azidose, Vitamin D-Resistenz und ein renaler Kalziumverlust postuliert.








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Literatur Harnableitung

Farnham und Cookson 2004 FARNHAM, S. B. ; COOKSON, M. S.: Surgical complications of urinary diversion.
In: World J Urol
22 (2004), Nr. 3, S. 157–67

Gerharz u.a. 2003 GERHARZ, E. W. ; TURNER, W. H. ; KALBLE, T. ; WOODHOUSE, C. R.: Metabolic and functional consequences of urinary reconstruction with bowel.
In: BJU Int
91 (2003), Nr. 2, S. 143–9

Hautmann 2003 HAUTMANN, R. E.: Urinary diversion: ileal conduit to neobladder.
In: J Urol
169 (2003), Nr. 3, S. 834–42

Mills und Studer 1999 MILLS, R. D. ; STUDER, U. E.: Metabolic consequences of continent urinary diversion.
In: J Urol
161 (1999), Nr. 4, S. 1057–66