Dr. med. Dirk Manski

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Diagnose und Staging des Hodentumors (Keimzelltumoren)


Früherkennung von Hodentumoren

Eine spezielle (ärztliche) Früherkennungsuntersuchung für Hodenkrebs wird nicht empfohlen. Gegen ein Screeningprogramm spricht die niedrige Inzidenz des Hodentumors und die guten Behandlungsergebnisse auch in fortgeschrittenen Tumorstadien. Der fehlende oder theoretisch geringe Nutzen einer Früherkennung wäre mit einer hohen Rate von falsch-positiven Ergebnissen, Ängste der Männer und Schäden durch diagnostische Testverfahren wie Hodenbiopsien verbunden. Die DGU empfiehlt eine monatliche Selbstuntersuchung der Männer zwischen 15–45 Jahren und fordert eine initiale Anleitung durch einen Urologen, dies wird aktuell von den Krankenkassen jedoch abgelehnt.

Obligate Diagnostik bei Verdacht auf einen Hodentumor

Tumormarker:

Die Hodentumormarker (außer LDH) sind aufgrund fehlender physiologischer Produktion beim Mann hochspezifisch und sensitiv. Eine Tumorlast von 105 Zellen kann nachgewiesen werden, lange vor dem Nachweis in der Bildgebung. Nur 10–15 % der fortgeschrittenen Keimzelltumoren haben normale Tumormarker.

Wichtig ist die Abnahme der Tumormarker vor der Orchiektomie. Bei erhöhten Markern sind weitere Bestimmungen alle 5–7 Tage nach Orchiektomie notwendig, um die Geschwindigkeit des Abfalls (Halbwertszeiten siehe unten) und den niedrigsten Wert (Nadir) zu ermitteln. Die Höhe der Tumormarker nach Orchiektomie korreliert am besten mit der Prognose der Patienten, daher wurde das serologische Staging neu in die TNM-Klassifikation eingeführt. Für die Eingruppierung wird der niedrigste Wert (Nadir) der Tumormarker nach Orchiektomie verwendet.

Alpha-Fetoprotein (AFP):

Normwert <15 ng/ml bzw. <10 IU/ml. Halbwertszeit 5 Tage. Eine AFP-Erhöhung weist auf ein Nichtseminom hin, reife Teratome, reine Seminome oder reine Chorionkarzinome sind AFP-negativ.

Humanes Choriongonadotropin (HCG):

Normwert bei Männern <5 mIU/ml. Halbwertszeit 24–36 h. HCG wird bei Keimzelltumoren in chorionkarzinomatösen Anteilen oder von synzytiotrophoblastischen Riesenzellen (Seminom, embryonales Karzinom, Chorionkarzinom, Dysgerminom) gebildet. Werte über 500 mIU/ml sprechen gegen ein reines Seminom. Beim Chorionkarzinom korreliert die HCG-Konzentration fast linear mit der Tumormasse, wobei 10 mIU/ml ungefähr 1 000 000 Zellen entsprechen.

Laktatdehydrogenase (LDH):

Normwert 60–120 U/l. LDH ist ein ubiquitär vorkommendes intrazelluläres Enzym, nicht spezifisch für einen Hodentumor. LDH wird zur Beurteilung des Therapieerfolges und der Prognose von fortgeschrittenen Keimzelltumoren verwendet, da das Enzym sehr gut mit der Tumorlast korreliert.

Plazentare alkalische Phosphatase (PLAP):

wird teilweise von HCG-negativen Seminomen exprimiert, falsch-positiv bei Rauchern. Keine Standarddiagnostik.

M371-Test:

Quantitative PCR mit Nachweis von microRNA miR-371a-3p im Serum. Der Test zeigt eine deutliche höhere Sensitivität (90%) und Spezifität (94%) als alle anderen verfügbaren Marker, die microRNA wird von allen Keimzelltumoren außer Teratomen exprimiert (Dieckmann u.a., 2019). Der M371-Test ist keine Standarddiagnostik und kommerziell noch nicht verfügbar.

Diagnose eines Hodentumors durch Sonographie:

In der Sonographie der Hoden manifestiert sich ein Hodentumor typischerweise als echoarme bis echogemischte Läsion im Hodenparenchym mit verstärkter Durchblutung [Abb. Seminom im Ultraschall], [Abb. Teratom im Ultraschall] und [Abb. Embryonales Karzinom im Ultraschall].


Sonographie Hodentumor: echoarme Läsion (Histologie: Seminom) umgeben von normalem Hodenparenchym.
Sonographie Hodentumor: echoarme Läsion (Histologie: Seminom) umgeben von normalem Hodenparenchym
Sonographie Hodentumor: zystische Raumforderung (Histologie Teratom)
Sonographie Hodentumor: zystische Raumforderung (Histologie: reifes Teratom mit Faserknochen, Hornschollen und zystischem Gewebe).
Embryonales Karzinom: echogemischter großer Hodentumor in der Sonographie (links). Am pathologischen Präparat zeigt sich ein ausgeprägter Pleomorphismus (rechts). Mit freundlicher Genehmigung, Pathologicum Augsburg Prof. Dr. Stömmer, Dr. Erhardt & Kollegen.
Abbildung embryonales Karzinom in der Sonographie und in der Makroskopie

Obligat ist die Sonographie des kontralateralen Hodens zum Ausschluss eines bilateralen Hodentumors und zur Einschätzung des Risikos für eine GCNIS (Hodenvolumen? Testikuläre Mikrolithiasis (Sternenhimmel)?).

CT-Abdomen:

Das CT-Abdomen ist Mittel der Wahl zum Nachweis von retroperitonealen Lymphknotenmetastasen oder Lebermetastasen [Abb. Lymphknotenmetastasen in der CT]. Alternativ MRT-Abdomen bei Kontrastmittelallergie oder Kindern (siehe unten).


CT-Abdomen und Thorax, frontale Rekonstruktion: multiple retroperitoneale, iliakale Lymphknotenmetastasen bei einem linksseitigem Nichtseminom des Hodens, welche eine Harnstauungsniere links verursachen. Zusätzlich multiple Lungenmetastasen. Mit freundlicher Genehmigung, Prof. Dr. K. Bohndorf, Augsburg
Abbildung CT-Abdomen und Thorax, frontale Rekonstruktion: multiple retroperitoneale, iliakale  Lymphknotenmetastasen bei einem linksseitigem Nichtseminom des Hodens, welche eine Harnstauungsniere links verursachen. Zusätzlich multiple Lungenmetastasen.

CT-Thorax:

Mittel der Wahl zum Nachweis von Lungenmetastasen oder mediastinalen Lymphknotenmetastasen. Das CT-Thorax wird zeitgleich mit dem CT-Abdomen durchgeführt.



Fertilitätsdiagnostik:

Patienten mit aktuellem oder in der Zukunft möglichen Kinderwunsch muss vor Orchiektomie die Möglichkeit der Kryokonservierung angeboten werden, zuvor sollte die Fertilität bestimmt werden: Spermiogramm, Testosteron, LH und FSH. Bei Patienten mit Azoospermie kann die (bilaterale) testikuläre Spermienextraktion während der Orchiektomie durchgeführt werden. Die Kosten für die vorsorgliche Erhaltung der Fertilität werden seit kurzem von den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland übernommen.

Fakultative Diagnostik

MRT-Hoden:

Ein MRT des Hodens ist indiziert zur weiteren Abklärung suspekter Befunde im Ultraschall, welche nicht unbedingt freigelegt werden müssen (seltene Indikation!).

Sonographie Abdomen:

Die Sonographie des Abdomens ist geeignet für eine schnelle Diagnose einer fortgeschrittenen Erkrankung [Abb. Retroperitoneale Metastase im US Abdomen]. Das CT-Abdomen ist sensitiver und kann durch die Sonographie nicht ersetzt werden.


Sonographie Retroperitoneum: große pararenale Lymphknotenmetastase links.
Sonographie Retroperitoneum: große pararenale Lymphknotenmetastase links bei Hodentumor Keimzelltumor

MRT-Abdomen

Das MRT besitzt eine vergleichbare diagnostischen Genauigkeit wie ein CT-Abdomen. Vorteile sind die fehlende Strahlenbelastung und das besser verträgliche Kontrastmittel. Nachteile sind eine längere Untersuchungsdauer, die fehlende gleichzeitige Bildgebung des Thorax und höhere Kosten. Die Leitlinien empfehlen nicht den routinemäßigen Einsatz der MRT in der primären Ausbreitungsdiagnostik. Anerkannte Indikationen für ein MRT sind Kinder und die Unverträglichkeit von jodhaltigem Kontrastmittel.

Kopf MRT oder CT:

Bei fortgeschrittener Erkrankung oder bei Symptomen verdächtig für Hirnmetastasen.

Knochenszintigraphie:

Bei klinischem Verdacht auf Knochenmetastasen.

PET:

Das PET hat für das primäre Staging bei nachgewiesenem Hodentumor vor Erstlinientherapie keine Bedeutung. Das Positronenemisionstomographie hat eine gesicherte Rolle bei der Diagnose von residualen Lymphknotenvergrößerungen nach primärer Therapie (Chemotherapie und/oder Strahlentherapie). Durch den Nachweis einer erhöhten Stoffwechselaktivität mit dem Tracer FDG kann zwischen Narbengewebe und Tumorgewebe unterschieden werden. Eine weitere Indikation zur PET besteht bei Anstieg der Hodentumormarker im Verlauf der Tumornachsorge.

Inguinale Hodenfreilegung und Biopsie:

Bei kleinen Läsionen in der Sonographie oder MRT mit unklarer Dignität ist eine diagnostische inguinale Hodenfreilegung mit Tumorresektion eine Option, um die Orchiektomie zu vermeiden. Der Hodentumor wird per Schnellschnitt untersucht. Bei benignen Tumoren wird der Eingriff organerhaltend beeendet. Bei Nachweis eines malignen Hodentumors im Schnellschnitt ist die hohe inguinale Semikastration das Standardverfahren [Abb. Orchiektomiepräparat]. Bei kleinen malignen Läsionen kann nach einer kompletten Resektion des Tumors erwogen werden den Resthoden zu erhalten, insbesondere bei bilateraler Manifestation oder bei Einzelhoden. Da ein hohes Risiko für eine begleitende GCNIS besteht, soll eine adjuvante lokale Strahlentherapie des Hodens mit 16–20 Gy durchgeführt werden.


Orchiektomie-Präparat: der longitudinal aufgeschnittene Hoden zeigt einen Hodentumor (Histologie Seminom) am Unterpol des Hodens. Mit freundlicher Genehmigung, Dr. R. Mayer, Kempten.
Orchiektomie-Präparat: der longitudinal aufgeschnittene Hoden zeigt einen Hodentumor (Histologie Seminom) am Unterpol des Hodens

Kontralaterale Hodenbiopsie:

das Risiko einer kontralateralen GCNIS liegt zwischen 5–10 %. Risikofaktoren für eine kontralaterale GCNIS sind ein Hodenvolumen von unter 12 ml, Hodenhochstand in der Anamnese und einem Erkrankungsalter unter 30 Jahren, das Risiko beträgt dann 34 %. Die Optionen der kontralateralen Hodenbiopsie sollte zumindest bei Patienten mit Risikofaktoren für eine GCNIS diskutiert werden. Zur Technik der kontralateralen Hodenbiopsie siehe Abschnitt inguinale Orchiektomie.

Wenn eine cisplatinhaltige Chemotherapie schon zum Zeitpunkt der Orchiektomie absehbar ist, sollte keine kontralaterale Hodenbiopsie durchgeführt werden. Die Chemotherapie heilt die GCNIS in über 60 % der Fälle. Bei Risikofaktoren für eine GCNIS sollte die kontralaterale Hodenbiopsie ggf. zwei Jahre nach Abschluss der Therapie des Primärtumors durchgeführt werden.

Fertilitätsdiagnostik

Bei Patienten mit Kinderwunsch in der Zukunft sollte vor Orchiektomie die Fruchtbarkeit bestimmt werden: Spermiogramm, Testosteron, LH und FSH. Der Patient muss vor Orchiektomie über die Möglichkeit der Kryokonservierung informiert werden.

Bei Patienten mit bilateralen Tumoren, Einzelhoden, schwerer Oligozoospermie oder Aspermie ist die testikuläre Spermienextraktion während der Orchiektomie eine Option.

Differentialdiagnose

Siehe Abschnitt Skrotaler Tumor






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Literatur

Dieckmann, K.-P.; Radtke, A.; Geczi, L.; Matthies, C.; Anheuser, P.; Eckardt, U.; Sommer, J.; Zengerling, F.; Trenti, E.; Pichler, R.; Belz, H.; Zastrow, S.; Winter, A.; Melchior, S.; Hammel, J.; Kranz, J.; Bolten, M.; Krege, S.; Haben, B.; Loidl, W.; Ruf, C. G.; Heinzelbecker, J.; Heidenreich, A.; Cremers, J. F.; Oing, C.; Hermanns, T.; Fankhauser, C. D.; Gillessen, S.; Reichegger, H.; Cathomas, R.; Pichler, M.; Hentrich, M.; Eredics, K.; Lorch, A.; Wülfing, C.; Peine, S.; Wosniok, W.; Bokemeyer, C. & Belge, G. Serum Levels of MicroRNA-371a-3p (M371 Test) as a New Biomarker of Testicular Germ Cell Tumors: Results of a Prospective Multicentric Study.
Journal of clinical oncology, 2019, JCO1801480

Albers, P.; Albrecht, W.; Algaba, F.; Bokemeyer, C.; Cohn-Cedermark, G.; Fizazi, K.; Horwich, A.; Laguna, M.; Nicolai, N. & Oldenburg, J. EAU Guidelines: Testicular Cancer
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DGU, DKG, AWMF, and L. Onkologie, “S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Keimzelltumoren des Hodens. Langversion 1.1.” [Online]. Available: https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/hodentumoren/

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Kharazmi E., Hemminki K., Pukkala E., Sundquist K., Tryggvadottir L., Tretli S., Olsen J.H., and Fallah M. Cancer risk in relatives of testicular cancer patients by histology type and age at diagnosis: a joint study from five nordic countries, Eur Urol 2015, 68(2):283-89.

S. Krege, J. Beyer, R. Souchon, P. Albers, and EGCCCG-Members. European consensus conference on diagnosis and treatment of germ cell cancer: a report of the second meeting of the european germ cell cancer consensus group (egcccg): part i.
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S. Krege, J. Beyer, R. Souchon, P. Albers, and EGCCCG-Members. European consensus conference on diagnosis and treatment of germ cell cancer: a report of the second meeting of the european germ cell cancer consensus group (egcccg): part ii.
Eur Urol, 53 (3): 497–513, Mar 2008b.

Robert-Koch-Institut Krebs in Deutschland 2017/2018
2021 https://www.krebsdaten.de/

W. Rodprasert, J. Toppari, and H. E. Virtanen, “Endocrine Disrupting Chemicals and Reproductive Health in Boys and Men.,” Front Endocrinol., vol. 12, p. 706532, 2021.



  English Version: Etiology, Pathology, tumor stages and diagnosis of germ cell tumors (testicular cancer)